Ähnlichkeiten
Hommage à Fortuny

18.11.2007 – 30.07.2008




In diesem "Jahrhundertsommer der Kunst" gab es, ein wenig abseits der Hauptwege von Biennale Venedig, Documenta Kassel und Skulptur Projekte Münster, eine vom Publikum wie von der Kunstkritik begeistert gefeierte Entdeckung: die Ausstellung Artempo (Where Time Becomes Art) im Palazzo Fortuny. In einem gotischen Palast in Venedig, im morbiden Art Deco-Ambiente des spanischen Künstlers, Textilfabrikanten und Sammlers Mariano Fortuny (1871–1949) waren Objekte unterschiedlicher Epochen und Kulturen mit zeitgenössischer Kunst (vorwiegend aus der Sammlung des Belgiers Axel Vervoordt) zu einem großartigen Gesamtkunstwerk vereint. Hier wurden, vielleicht überzeugender als an den anderen Orten, die programmatischen Aussagen der Documenta 12 ("Migration der Form") und der 52. Biennale ("mit den Sinnen denken, mit dem Verstand fühlen") zur anschaulichen Realität.

Ähnlichkeiten, die aktuelle Ausstellung der Stiftung für konkrete Kunst, erinnert mit dem Untertitel Hommage à Fortuny nicht nur an ein herausragendes Ereignis des Kunstsommers 2007, sondern benennt damit zugleich die Konzeption der neuen Ausstellung, nämlich die Verbindung von Kunstwerken und Gegenständen verschiedener Zeiten und Kulturen unter dem Aspekt einer formalen oder inhaltlichen Ähnlichkeit. Ort der Präsentation ist nun allerdings nicht die gotisch düstere Kulisse eines venezianischen Palazzos, sondern der "White Cube" des 20.Jahrhunderts, die lichtdurchfluteten Hallen eines Fabrikgebäudes. An dessen Entstehungszeit (1903–1904) erinnern einige in der Ausstellung gezeigte Möbelstücke aus der Familie des Firmengründers Christian Wandel (1821–1887), Ledersessel und Scherenstühle im historisierenden Stil des 19.Jahrhunderts. Mit diesen kommt ein wenig 'Fortuny' in die sachlich-neutrale Industriearchitektur.





Malerei, Plastik, Möbel, Bücher, Hinterglasbilder, Ikonen, prähistorische Werkzeuge und Idole, aus allen der Stiftung zur Verfügung stehenden Sammlungen, Archiven, Depots, Leihgaben und Nachlässen wurden Objekte ausgewählt.

Ein Beispiel. Mitten im Raum steht Cerchio spezzato (1975), ein tonnenschwerer, gebrochener Eisenring von Giuseppe Spagnulo. Dicht dabei liegen große aufgeschnittene Kupferreife, nicht Schmuck, sondern das Brautgeld der Mbole. An der Wand grüne und schwarze, gemalte Kreise, die vierteilige Gouache Mouvement diagonal vert et noir (1958) von Vera Molnar, daneben ein kleiner quadratischer Tisch mit einer Sammlung afrikanischer Steinreifen aus dem Neolithikum. Nicht weit entfernt steht an die Wand gelehnt Part 2 (1990), ein großes rundes blaues Glas von Nikolaus Koliusis. Zu sehen sind auch chinesische Bi-Scheiben, die Leinwandausschnitte der Volume (1958) von Dadamaino, die Ohren der Boa-Masken aus dem Kongo, das Lochraster von Douglas Allsop's Reflective Editor (2002), die 5000 Jahre alten mesopotamischen Alabasterschalen. Alles kreisrund.







In der Vielfalt der zeitlich und kulturell weit auseinanderliegenden Exponate entdeckt der Besucher das Ähnliche, hier den Kreis als geometrische und symbolische Form, als Grundelement der konkreten Kunst, als Konstante menschlicher Gestaltung.

Ähnlichkeiten ist nicht die erste Ausstellung dieser Art in der Stiftung. Immer wieder wurden in den vergangenen 20 Jahren Werke der konkreten Kunst in einen umfassenden kulturellen, wissenschaftlichen oder gesellschaftlichen Kontext gestellt. Chinesische Regenblumensteine, russische Ikonen, australische Wurfhölzer, Elfenbeinfiguren der Eiszeit, Urnen der Hallstattzeit, gotische Palmesel oder historische mathematische Modelle waren zu sehen, die Zeitachse eines halben Jahrhunderts wurde durch faksimilierte Zeitungstitelseiten visualisiert und sogar eine etwas skurrile Fischsammlung wurde gezeigt. Dennoch, so mutig und kreativ wie dieses Mal waren die bisherigen Präsentationen nicht. Die Rechtfertigung einer so unkonventionellen Ausstellung hätte sich bislang wohl auf den Bilderatlas von Aby Warburg , André Malraux' Musée Imaginaire (1947) oder Harald Szeemanns legendäre Ausstellung Der Hang zum Gesamtkunstwerk (1983) berufen. Doch, und deshalb der Untertitel Hommage à Fortuny, seit dem Sommer 2007 hat ein Blick in eine venezianische Wunderkammer für alle Ausstellungsmacher neue Maßstäbe gesetzt.

Fotos: Steffen Schlichter