Nikolaus Koliusis im Schaulager

30.11.2008 – 29.04.2009


ich spreche über etwas
was man nicht sieht
aber ich versuche es Ihnen zu beschreiben
ich habe ein paar Bilder im Kopf
besonders das Bild der großen Erdgeschosshalle
des ehemaligen Fabrikgebäudes Christian Wandel
die nicht mit Maschinen gefüllt ist
wie über 100 Jahre vorher
sondern seit über einem Jahr mit Objekten verschiedenster Art
die die Kultur die Kunst die Literatur und das Design betreffen
man sieht
Kisten Schachteln Bilder Plastiken Stapel
Umzugskartons Bilderkartons Europaletten
Eisenträger Marmorblöcke Bronzegüsse Papier Leinwand Folien
Materialien aller Art
kurz gesagt ungefähr 80%
dessen was die Stiftung für konkrete Kunst
verwahrt beschützt pflegt und zeigt
es sind Sammlungsbestände unter privater Verantwortung
unter Künstlerverantwortung
unter Stiftungsverantwortung
vielleicht auch eines Tages
unter städtischer Verantwortung
die Masse die man sieht
ist bis zu 3 Meter hoch gelagert
auf einer Fläche von eintausend Quadratmeter
warum ich das sage
es ist eine große Verantwortung
eine Landschaft der Menge
können Sie heute betrachten
und werden feststellen
dass Sie
obwohl Sie alles sehen
fast nichts sehen
denn die Dinge sind
davor dahinter darüber darunter
ohne große Zwischenräume
platzsparend zusammengebracht
und je mehr wir daran arbeiten
umso mehr ist es eine Baustelle
oder Stadtlandschaft
mehr oder weniger
abgerissen und aufgebaut
in dem Zeitraum von einem Jahr
haben wir diese Arbeitszone
'Stiftung ohne Titel'
genannt
und nun ist es Zeit
sie nicht nur öffentlich zu machen
sondern einige Kunstwerke
herauszuheben aus dieser Menge
sie ausgepackt
und nackt zu zeigen
sodass sie ihre Wirkung entfalten
wie
das ist Ihre Sache
die ausgewählten Werke sind von einer Handschrift
sie verändern nicht nur durch die Reflexion der Flächen
und die Reflexion der Farben
sondern tragen dazu bei
dass der leere Raum
der in dieser Halle blieb
seine eigene Sprache bekommt
silberne Flächen
blaues Licht
spiegelndes Glas
reflektierende Folien
verändern den Raum







jetzt ist heller Tag
in den Abendstunden haben wir fast eine blaue Grotte
die sicherlich nicht nur zu romantischen Gefühlen
und ästhetischen Betrachtungen verführt
sondern optische Gesetze
und die Dimensionen des Raumes
konkret bewußt macht
dass vieles was oben ist unten sein kann
dass vieles was hinten ist vorne sein kann
dass etwas was alt ist neu sein kann
dass etwas Neues alt sein kann
dass jede Sekunde die Sprache der Kultur anders sein kann
zeigen die vielen Ordnungsprinzipien
nicht nur der Sachwerte
sondern auch der theoretischen und philosophischen Denkweisen
ein solches verdecktes Schaulager zu öffnen
und von Ihnen zu verlangen
mehr zu sehen
als Sie sehen
birgt immer ein Risiko
aber Mengen und Daten und Fakten und Zahlen und Werte
das können Sie alles selbst
wenn Sie wollen
und über 20 Jahre die Stiftung besucht haben
nachvollziehen
ich weiß was ich Ihnen zumute
aber zum Beispiel im Jahr 1827
als die erste Fotografie
das Licht erblickte
da war der Titel des Fotografen
'Blick aus dem Arbeitszimmer'
und eigentlich war auf dem Foto
und das noch heute
nur Spuren im Asphalt erkennbar
erinnern möchte ich auch
dass Ansammlungen
insbesondere Sammlungen
gleich welcher Art
sehr oft nur deshalb überleben
weil einzelne Teile des Ganzen
in irgendeiner Art und Weise
die Zeiten überdauert haben
Menschen haben dazu wenig beigetragen
das zeigt sich immer wieder
aber manche Statue der Griechen
hat als Strassenbelag immerhin fast 2000 Jahre überlebt
übrigens wenn wir uns entschlossen haben
Werke von Nikolaus Koliusis
diesem Fotografen und Künstler
auszupacken und aufzuhängen
dann deswegen
weil die Arbeiten stark sind
weil die Arbeiten unabhängig von Raum und Zeit sind
und unabhängig von der Betrachtung der Menschen existieren
falls Sie daran zweifeln
will ich kurz das Beispiel eines der ältesten Kunstwerks der Welt
des Mammuts
in Ihr Gedächtnis rufen
der sogenannte Sensationsfund von 2006
nicht weit von hier gefunden
es ist zu hoffen
dass die Menge
die Sie unten auf den Europaletten vorfinden
genügend Potential hat
um weiterhin Arbeitsmaterial für die Stiftung zu sein
obwohl Sie mir das glauben müssen
sage ich es trotzdem
am Anfang vor 30 Jahren
hätte ich nie geglaubt
dass es möglich ist
für Dinge Verantwortung zu tragen
die ab und zu in Museen dieser Welt
oder Institutionen dieser Welt gebraucht werden
und die Arbeit
und die Pflege
die Versicherung
und der Transport
das Organisieren
und Schreiben
das Kontrollieren
all das läßt trotzdem noch viel Erkenntnis
und auch Lebensinhalt zu
eine Stiftung ist keine statische Museumsarchitektur
sondern wenn es gelingt
die Räume lebendig zu nutzen
die Ware vielfältig zu vernetzen
und im besten Sinne damit umzugehen
dann ist schon viel erreicht


29. 11. 2008 MW

Fotos: Nikolaus Koliusis

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