Hartmut Böhm: Ausdehnung und Begrenzung (das extreme Eine und das extreme Andere)

10. 10. 1999–27. 2. 2000


Konstruktiv, logisch, systematisch, alle diese Begriffe treffen auf die Arbeit von Hartmut Böhm zu, beschreiben sie aber nicht vollständig.

Zu entdecken war dies bereits 1991, als die Stiftung für konkrete Kunst mit der Ausstellung Wandarbeiten, Bodenarbeiten, Zeichnungen – Mehrteiligkeit im Werk von Hartmut Böhm einen umfassenden Einblick in das Werk des 1938 geborenen Künstlers gab. Vor allem in den 'Progressionen gegen Unendlich', Arbeiten, welche die Grenze zwischen Anschauung und Denken ganz direkt thematisieren, konnten die Besucher diesen Aspekt erfahren, der über Konzept, Konstruktion und Material hinausgeht. Noch deutlicher zeigt sich dieses Phänomen in der strikten Reduktion von Material und Form in der Ausstellung Ausdehnung und Begrenzung.

Elf Bodenarbeiten hat Hartmut Böhm speziell für die Erdgeschoßhalle der Stiftung konzipiert, zehn davon hat er aufgebaut. Das Material ist bei allen Arbeiten identisch: Formstahlteile, industriell genormte Doppel-T-Träger (160 x 16 x 8,2 cm). Die Elemente werden, abwechselnd flächig oder kantig gelegt, zu offenen oder geschlossenen Quadrat- und Kreuzformen addiert. Die Teile stoßen aneinander, sind jedoch nicht fest verbunden. Alle zehn Arbeiten sind in einem axialen Raster aufeinander bezogen. Klar und eindeutig ist die geometrische 'Figur' von Kreuz und Quadrat nur in der Konstruktionszeichnung und im Grundriß. In der Ausstellung, in der direkten Konfrontation von Betrachter und Werk, werden die rechten Winkel spitz oder stumpf, die Linien überlagern, bündeln sich. Licht und Schatten werden zu wesentlichen Bestandteilen. Je nach Standort des Betrachters und Position der Träger ergeben die T-Profile eine Vielfalt unter- schiedlicher Zwischenräume, Hohlräume, Leerräume, Durchblicke. Die Linien-, Flächen- und Raumwahrnehmung wechselt stetig. Die Masse des Stahlträgers erhält eine lineare Leichtigkeit, seine statische, architektonische Funktion ist aufgehoben, er trägt nicht mehr die reale Masse der Materie, sondern die imaginäre Masse des leeren Raums.

Trotz aller Logik und Konsequenz ist bei Böhm das Werk kein statisches Objekt, sondern Teil eines Ganzen, Element eines Prozesses. Die technische Präzision und streng geometrische Konstruktion, welche theoretisch alle Arbeiten kennzeichnet, schlägt 'in der Praxis', in der direkten Anschauung unversehens um, zeigt Unschärfen, entwickelt eine erstaunliche, faszinierende Vieldeutigkeit. Giacometti, Kricke, Mies van de Rohe - sie haben in der Kunst und Architektur des 20.Jahrhunderts durch Minimierung von Masse dem Raum eine neue Dimension gegeben. Hartmut Böhm führt dieses Prinzip mit neuen, eigenen Mitteln fort.

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